„Ende der Privatheit. Brauchen wir eine neue Reformation?“ heißt eine Veranstaltung des VS, die im Frühjahr schon einmal in Aschaffenburg stattgefunden hat und die am 27. Oktober in Leipzig wiederholt wird. Es geht um die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung und die Frage, wie diese politisch gestaltet werden kann und soll. Die Details finden sich auf der Website des VS, wo auch die Stellungnahmen der PodiumsteilnehmerInnen zu finden sind, die sich vorab Gedanken zum Thema gemacht haben. Besonders empfehlenswert finde ich den Beitrag von Susanna Wolf, den ich hier verlinke. Meine eigenen 5 Cents klebe ich noch einmal unten an.
Am Samstag, den 4. November „arbeite“ ich dann in meiner Lieblingsbuchhandlung Knodt in Würzburg, empfehle im Rahmen des Autorensamstags Lieblingsbücher und signiere auf Wunsch meinen Erzählband.
So endet der Oktober, so beginnt der November. Weiteres folgt …
Schreiben und Netz
Anfang der 2000er – ich arbeitete noch Vollzeit in der IT-Branche und war viel unterwegs – schloss ich mich einer Internetgruppe an, in der geschrieben und Textkritik geübt wurde. Ich befand mich unter Gleichgesinnten, die nichts mit meinem übrigen Leben zu tun hatten. Die Kombination aus Interessengleichheit einerseits und Diskretion andererseits tat meinem Schreiben gut. Es war noch zu schützen, eigentlich ein Geheimnis, verlangte aber zugleich nach Austausch.
Diskretion, Schutz: scheinbar abwegige Begriffe spätestens seit den Snowden-Enthüllungen. Dennoch real. Und Teil des Problems: Auf der Oberfläche der Nutzung stellen sich die Dinge oft vollkommen anders dar, als sie an der Basis sind. Beide Ebenen sind wirklich, die eine bewusst erlebt, die andere – findet statt.
15 Jahre später sind das Netz und meine Existenz als Autorin vielfältig miteinander verknüpft. Was aus meiner Erfahrung – als technik-affine Autorin literarischer, „klassisch“ publizierter Texte, also in einem Verlag und mit deutlichem Schwerpunkt auf der Print-Auflage – immer wieder als wesentlich heraussticht, ist zweierlei: zielgerichtet und niederschwellig. Zielgerichtet: Ich kann im Netz mit spezifischen Interessengruppen in Kontakt treten, die ich in meinem begrenzten regionalen Umfeld nicht oder nicht in dieser Vielfalt vorfinde. Niederschwellig: Das Netz erleichtert mir, ohne institutionelle Umwege (Verlag, Buchhandel, Presse, Veranstalter etc.) oder zusätzlich zu diesen als Autorin anwesend zu sein – über meine Website, im Kontakt mit Lesern, Buchbloggerinnen etc. In ganz anderem Maßstab stehen natürlich die Web-Aktionen der Großen des Literaturbetriebs, mit der Marketingkraft großer Verlagshäuser befeuert. Aber in den Buchhandlungen und Zeitungen ist der Platz begrenzt, im Netz nicht. Ich kann auf kleiner Flamme als Autorin koexistieren, ohne selbst dauernd anwesend zu sein. Für eine Autorin, die ja viel Zeit in der Stille benötigt und andererseits nicht für die Schublade schreibt, eine ziemlich angenehme Kombination. Auf dieser Ebene ist von einer „Abschaffung des Individuums“ nichts zu spüren, eher im Gegenteil. Was an der Oberfläche konkret erfahrbar ist und was im Untergrund stattfindet, klafft auseinander.
Nutzerin vs. Bürgerin
Als Ende 2013 über 500 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus aller Welt mit der Initiative „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ Unterschriften gegen die Überwachung sammelten, befand ich mich inzwischen auch in meinem lokalen Umfeld in einer Gemeinschaft von Autoren. Wir versammelten die regionalen Theater, Verlage, Museen, Kleinkunstbühnen und KünstlerInnen hinter einem Aufruf an die Bürger aus Stadt und Region, die internationale Petition zu unterzeichnen. Wir stellten uns vor, dass der weltweiten Aktion viele solcher kleinen Initiativen vor Ort folgen sollten, um eine breite Bewegung gegen Massenüberwachung in Gang zu setzen, sozusagen vom oberen und unteren Ende der Literatur- und Kulturlandschaft gleichzeitig.
Wir schrammten hart an die Weihnachtszeit. In der lokalen Zeitung erschien ein Einspalter, vielleicht konnten wir einige zum Unterzeichnen bewegen. Ansonsten folgte – nichts. Wirklich nicht? Und: Was hatten wir erwartet? Dass es so einfach gehen würde? So schnell?
Das tut es nicht einmal in meinem eigenen Bewusstsein und Verhalten. Ich hatte mich lange gegen Facebook entschieden, hatte mich ein halbes Jahr zuvor jedoch angemeldet, und überließ mich in den Jahren danach – mit der ebenso diffusen wie bequemen Selbstberuhigung „Das muss man eh politisch lösen“, wofür ich aber nichts tat – Schritt für Schritt den Verlockungen allerlei weiterer Datenkraken – Clouds, Online-Diensten etc. pp. Den Zwiespalt zwischen Bürgerin und Nutzerin kenne ich gut, er verläuft mitten durch mich hindurch. Ich schlingere und arbeite mit Verdrängung.
Nur dass die Verdrängung brüchig ist. Und dass die Frage vielfältig wiederkehrt. Nicht nur: Was machen andere mit meinen Daten? Sondern auch: Was mache ich mit den Daten anderer?
2017 experimentiere ich mit einer Online-Kursplattform, weil ich inzwischen selbst Schreibwerkstätten anbiete und Suchende mit ähnlichen literarischen Ambitionen ansprechen möchte, die aus familiären, beruflichen oder finanziellen Gründen nicht für Schreibkurse herumreisen können – abermals: zielgerichtet und niederschwellig. Ich richte die Software ein und bemerke, dass sie mir ungefragt Informationen darüber liefern würde, wer wann wie oft und wie lange welche Werkstattthemen bearbeitet. Will ich das nicht, muss ich nach einer weniger prominenten und womöglich weniger ausgereiften Lösung suchen. Ein Beispiel von vielen. Schritt für Schritt ist die Datensammelei selbstverständlich geworden. Schritt für Schritt gewöhnt sich die Nutzerin in mir daran, das Problem als rein rechtliche Frage zu behandeln, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht. Aber was tue ich da eigentlich? Will ich alles, was ich darf?
Ich schlingere. Ich stecke selbst in den Kinderschuhen, was meinen Umgang mit Daten und Privatheit im digitalen Zeitalter betrifft.
Politisches Handeln
Ende 2016 ging die Aktion „Charta der Digitalen Grundrechte der EU“ an die Öffentlichkeit. Die Initiatoren, darunter abermals Juli Zeh, sind für kritische Rückmeldungen ausdrücklich offen und erhalten diese in großer Zahl. Es wiederholt sich, was ich von der Aktion 2013 kenne. Damals war gerade aus der Netzgemeinde viel Abfälliges zu lesen, z. B. dies: „Ah, morgen rollt die literarische Kavallerie an, wir sind gerettet!“ Darunter weitere Kommentare in gleichem Tenor. Bis Sascha Lobo sich zu Wort meldete:
„Dieser Thread hier in seiner außerordentlich kleingeistigen Häme zeigt ungefähr 95% aller Gründe, warum die deutschsprachige ‚Netzgemeinde‘ so exzeptionell wirkungslos ist. […] Das allerwichtigste ist ja natürlich Abgrenzung – nicht gegen die Überwachung, sondern gegen Leute, die nicht auf die vorgeschriebene Art gegen Überwachung sind. […] Grauenvoll, egozentrisch, unklug.“
Ich stimme zu. Was aber ist klug?
Was mir wichtig scheint:
- ein gemeinsamer, so breit wie nur irgend möglich aufgestellter Widerstand gegen staatliche und wirtschaftliche Ausspähung. Ein Widerstand, der seine Energien hauptsächlich gegen sich selbst richtet, hat schon verloren.
- Parallel dazu – aber nicht stattdessen! – das Streiten um Lösungen und um die Frage: Wie wollen wir die digitale Zukunft gestalten?
Auf der Ebene des alltäglichen Lebens wartet diese Frage nicht, sie stellt sich längst, jeden Tag. Höchste Zeit, den Kinderschuhen zu entwachsen.